Im GesprächCarlo Cottarelli

„Rom rutscht immer tiefer in die Verschuldung“

Der frühere IWF-Ökonom Carlo Cottarelli fordert von Rom Ausgabensenkungen und einen Verzicht auf weitere Steuersenkungen. Andernfalls würde die italienische Staatsverschuldung weiter dramatisch ansteigen, warnt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

„Rom rutscht immer tiefer in die Verschuldung“

Im Gespräch: Carlo Cottarelli

„Rom rutscht immer tiefer in die Verschuldung“

Der frühere IWF-Ökonom Carlo Cottarelli rechnet mit einem deutlichen Schuldenanstieg in Italien und fordert Reformen

Von Gerhard Bläske, Mailand

Der frühere IWF-Ökonom Carlo Cottarelli fordert von Rom Ausgabensenkungen und einen Verzicht auf weitere Steuersenkungen. Andernfalls würde die italienische Staatsverschuldung weiter dramatisch ansteigen, warnt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Der frühere italienische IWF-Ökonom Carlo Cottarelli erwartet eine weiter rasant steigende Staatsverschuldung Italiens. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung fordert er deshalb entweder einen Verzicht auf die geplanten Steuersenkungen oder Ausgabensenkungen, „um einen Anstieg des Defizits zu vermeiden und so die Verschuldung zu senken“. Das sei aber nicht geplant, kritisiert er.

Mit einem Haushaltsdefizit von 7,4% führt Italien 2023 einmal mehr die Liste der europäischen Defizitsünder an. Hauptgrund dafür sind die ausufernden Kosten der extrem großzügigen Förderung der ökologischen Sanierung von Gebäuden wie dem Superbonus 110, bei dem die Kosten etwa für den Einbau neuer Heizungen oder Dämmungen vollständig vom Staat übernommen wurden und es sogar noch einen Zuschuss von 10% gab. Laut Cottarelli haben die Hilfen, an deren Finanzierung über die EU auch europäische Steuerzahler beteiligt wurden, die Schulden um mehr als 200 Mrd. Euro erhöht.

Dass die Staatsverschuldung 2023 dennoch leicht auf 137,3% gesunken ist, hat das Land allein der hohen Inflation zu „verdanken“. Sie hat das nominale Wachstum 2023 aufgebläht und die Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt reduziert. Die Regierung geht davon aus, dass die Verschuldung bis 2026 auf etwa 140% ansteigen wird.

Das stellt Rom vor große Probleme bei der Haushaltsplanung. „Es müssen für das Jahr 2025 noch rund 20 Mrd. Euro aufgetrieben werden und ab 2027 jährlich bis zu 25 Mrd. Euro, um das Defizit zu reduzieren. Selbst dann würde der Schuldenstand um 2,5 Prozentpunkte zulegen“, sagt Cottarelli, Professor an der Katholischen Universität in Mailand. Andernfalls würde er Jahr für Jahr um mehr als 5 Prozentpunkte steigen.

Nach wie vor habe die Regierung ihre Haushaltsplanung unter sehr günstigen Vorbedingungen aufgestellt: Rom geht bei den Steuereinnahmen von einer jährlichen Steigerung um 1% aus, die Notenbank Banca d’Italia rechnet dagegen allenfalls mit einem Plus von 0,6%. Auch bei den Privatisierungserlösen ist die Regierung nach Ansicht Cottarellis viel zu optimistisch. Hier seien Einnahmen von 1% des Bruttoinlandsprodukts bis 2026 eingeplant, das Ziel sei dann aber auf 2027 verschoben worden. „Und für 2024 wurden die Einnahmen auf null gesetzt“, so Cottarelli.

Doch trotz der dramatischen Haushaltslage will Rom an den geplanten Steuersenkungen, Vorruhestandsregelungen und familienpolitischen Maßnahmen festhalten, deren Umfang sich auf 20 Mrd. Euro pro Jahr beläuft. „Die Steuersenkungen wurden von der Draghi-Regierung eingeführt und sollten vorübergehend sein, nicht dauerhaft, wie es die Meloni-Regierung jetzt beabsichtigt“, erklärt Cottarelli. Restriktive Maßnahmen sind für ihn unumgänglich, um einen Anstieg des Defizits zu vermeiden. Ansonsten rutsche Rom immer tiefer in die Verschuldung. Entweder müssten die Ausgaben gesenkt oder die Steuersenkungen nicht verlängert werden.

EU-Verfahren wahrscheinlich

Um die haushaltspolitischen Folgen der Kosten für die ökologische Sanierung von Gebäuden zu senken, will die Regierung nun immerhin die damit verbundenen Steuergutschriften statt wie bisher auf fünf nun auf zehn Jahre verteilen. Das wird aber die Lage nicht grundsätzlich entspannen. Angesichts der niedrigeren Inflation hat sich der Spielraum laut Cottarelli reduziert: „Im vergangenen Jahr gab es Mittel, um bei hoher Inflation mehr Defizit zu machen, aber jetzt gibt es keine Mittel mehr dafür.“ Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti hält es inzwischen für wahrscheinlich, dass die EU ein Verfahren gegen Italien wegen des Verstoßes gegen die Regeln des reformierten Stabilitätspakts einleitet – hofft aber auf ein Entgegenkommen Brüssels.

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