Künstliche Intelligenz

Zweifel am großen Produktivitätsschub durch KI

Die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) scheinen grenzenlos – und insofern auch die damit verbundenen Wachstumshoffnungen. Doch die schmerzlichen Erfahrungen mit der „New Economy“ sollten zu denken geben.

Zweifel am großen Produktivitätsschub durch KI

Zweifel am großen Produktivitätsschub durch KI

MIT-Ökonom Acemoglu hält Prognosen für übertrieben – Wirtschaft investiert gleichwohl gigantische Summen in die Maschinenintelligenz

Die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) scheinen grenzenlos – und insofern auch die damit verbundenen Wachstumshoffnungen. Aber die schmerzlichen Erfahrungen der New-Economy-Ära haben gezeigt: Prognosen gerade in der Digitalwirtschaft sind heikel, weil interessengeleitet und meist zu euphorisch.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Die Euphorie im KI-Umfeld ist riesig: Die Maschinenintelligenz soll in der Wirtschaft für einen gewaltigen Produktivitäts- und Wachstumsschub sorgen, prophezeien Studien. Von deutlich über 3% jährlich ist die Rede. Gigantische Summen werden in die Hand genommen, um Datennetze auszubauen, neue Rechenzentren auf die Wiese zu stellen; KI-Experten werden in großem Stil angeheuert, KI-Start-ups gegründet und Multi-Milliardensummen in bestehende Hoffnungsträger wie OpenAI und Nvidia investiert.

Umgekehrt machen sich Politik und Gewerkschaften große Sorgen um den Arbeitsmarkt. Denn ein Teil der Produktivitätsgewinne kommt auch daher, dass die KI Jobs ersetzen und die Personalkosten senken kann. Folge: Die Kapitalquote steigt, und die Gewinne der Kapitaleigner wachsen mit ihr. Eric Posner von der Chicago Law School spricht bereits – angelehnt an die Gründerzeiten – von den „KI-Magnaten“. Auf der anderen Seite ist von einem neuen „digitalen Proletariat“ die Rede.

Gigantische Investitionen in KI

Die Anreize für das Unternehmensmanagement sind damit aber gesetzt, immer höhere Summen für Maschinenintelligenz auszugeben. Der von der Stanford University herausgegebene AI Index Report hat zusammengerechnet, dass private Investoren zwischen 2019 und 2023 schwindelerregende 335 Mrd. Dollar auf „Artificial Intelligence“ gesetzt haben, in China waren es 104 Mrd. Dollar. Europa fällt hier deutlich ab: Großbritannien 22 Mrd. Dollar, Deutschland 10 Mrd. Dollar und Frankreich 8 Mrd. Dollar.

Das Wettrennen um die besten Plätze im Wettbewerb nahm 2023 noch mehr Fahrt auf, weil KI-Erfolgsmeldungen die Runde machten: Künstliche Intelligenz dient als Copilot für Anwälte, Journalisten und Betriebswirte, übernimmt die Aufgaben von Buchhaltern, Finanzwirten und Künstlern. KI ist etwa in Maschinen integriert für die Auswertung von Röntgenaufnahmen oder zur Erkennung von Personen für autonome Autos, aber auch für Sicherheitsorgane, führt Roboter genauer als der Mensch und kann auch auf Unwägbarkeiten reagieren.

Ein Blick in die Vergangenheit

Ein Blick auf vergangene Innovationszyklen (Dampfmaschine, Elektrizität, Automobilität etc.) dürfte die Euphorie jedoch etwas dämpfen. Der Produktivitätsschub, legen etwa Bernd Weidensteiner und Christoph Balz von der Commerzbank dar, verteilt sich über viele Jahre. Selbst Doppelinnovationen wie Elektrifizierung und Automobilität hätten in den 1920er Jahren jährlich nur für ein Produktivitätsplus von 2,7% gesorgt. In der gleichen Größenordnung lag es dann zwischen 1945 und 1973, als Chemie und Pharmaindustrie eine Innovation nach der anderen herausbrachten und zudem der Transistor erfunden wurde und Düsentriebwerke das Reisen beschleunigten. Die New Economy, Datenverarbeitung und verschärfte Digitalisierung, brachte zwischen 1990 und 2007 nur ein Plus von 2,3% zustande.

Vergleichsweise optimistisch gibt sich in diesem Zusammenhang die Unternehmensberatung McKinsey. Sie hält unter Umständen einen Produktivitätsschub von bis zu 3,3% für möglich. Die Stanford University veranschlagt das Plus bei um die 1,4%. Umfragen zeigen indes, dass sich die Wirtschaftsakteure davon nicht die Laune verderben lassen wollen. Mehr als die Hälfte der Befragten, so das Roland Berger Institute, rechnet für die nächsten beiden Jahre mit einem Produktivitätsplus von 11% bis über 20%. Nur knapp ein Fünftel hält lediglich ein Plus zwischen 0% und 5% für realistisch.

MIT-Forscher zerstört Träume

Und jetzt hat der MIT-Forscher Daron Acemoglu eine Studie vorgelegt, die noch mehr Wasser in den Wein gießt. Er erwartet für die nächsten zehn Jahre nämlich nur einen Produktivitätseffekt von 0,71% – aufs Jahr gesehen also verschwindend geringe 0,07%. Er zeigt sich zwar durchaus beeindruckt von den „Fähigkeiten von KI“ und dem „großem Geschäftspotenzial“. Doch die erwarteten massiven Produktivitätsfortschritte seien bisher nicht einmal im Ansatz erkennbar, schreibt er. Hinzu komme, dass große Wirtschaftsbereiche für KI gar nicht geeignet seien, wie etwa Handwerk oder Krankenpflege. Hier gehe es um „Problemlösung in Echtzeit“ und ein immer neues Umfeld.

Um das volle Potenzial von KI auszureizen, so Acemoglu, müsste sich die Industrie und das Umfeld ganz an die KI-Bedürfnisse anpassen und nicht umgekehrt, wie oftmals bekundet. Und er verweist darauf, dass die Regulierung auch noch da ist. „Ob Maschinen Jobs zerstören oder verbessern, hängt davon ab, wie man sie einsetzt“, betonte er in einem OECD-Webinar. Entsprechend könnte die Politik die KI-Unternehmer durchaus in Richtung weniger Jobabbau beeinflussen. Im Webinar nannte er eine KI-Maschinensteuer oder sprach von Gebührenzwang für die Nutzung fremden Materials bei KI-Trainings.

Ökonomen wie der Amerikaner Tyler Cowen halten die Abschätzung indes für viel zu pessimistisch, zumal Acemoglu das Ausscheiden weniger produktiver Firmen im Zuge des KI-Einsatzes außen vor gelassen habe. Das sorge für sich genommen schon für einen allgemeinen Produktivitätsanstieg. Aber auch andere äußern Zweifel an den vielfach euphorischen Prognosen. Zumal die New-Economy-Krise zu Anfang des Jahrtausends gezeigt habe, dass Prognosen gerade im Hinblick auf die Digitalwelt mit Vorsicht zu genießen seien. Aber Abwarten ist für Unternehmen auch keine Lösung: Denn wenn die Technologie dann doch so durchschlagend ist wie erhofft, wäre man ja nicht dabei, um die Kapitalerträge einzufahren.

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