Leitartikel ProSiebenSat.1

Vergiftete Atmosphäre

Der Machtkampf mit Media for Europe verschärft sich. Im Aufsichtsrat kann der Aktionär den Druck auf den Vorstand von ProSiebenSat.1 erhöhen.

Vergiftete Atmosphäre

ProSiebenSat.1

Tiefer Riss

Von Joachim Herr

Der Machtkampf mit Media for Europe verschärft sich. Im Aufsichtsrat kann der Aktionär den Druck auf den Vorstand von ProSieben erhöhen.

Die Hauptversammlung von ProSiebenSat.1 machte es offensichtlich: Der Graben ist sehr tief. Dass sich eine Brücke schlagen lässt, erscheint seit dem Aktionärstreffen äußerst unwahrscheinlich. Auf der einen Seite stehen der Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende Andreas Wiele, auf der anderen der italienische Großaktionär Media for Europe (MFE) und die tschechische Beteiligungsgruppe PPF. MFE und PPF vereint die Enttäuschung über den niedrigen Aktienkurs. Seit Mai 2021 hat er sich mehr als halbiert.

Zusammen kommen beide großen Anteilseigner auf gut 40% der Stimmrechte. Die Abstimmungen auf dem Aktionärstreffen am 30. April dominierten sie angesichts einer Präsenz von etwas weniger als zwei Drittel mit einem gemeinsamen Anteil von etwa 68%. Zwar scheiterte der Antrag von MFE, eine Abspaltung der Online-Geschäfte vom Kernsegment Unterhaltung vorzubereiten. Knapp 71% waren angesichts der notwendigen Dreiviertelmehrheit zu wenig, aber ein klares Signal.

Pfeifen im Walde

Das Abstimmungsergebnis verdeutlicht unabhängig von den Nachteilen, die eine Aufspaltung des Konzerns hätte, dass der Druck auf den Vorstand gewaltig wächst. ProSiebenSat.1 interpretiert den verhinderten Trennungsplan als Bestätigung der Strategie, weil die „freien“ Aktionäre die Position der Verwaltung unterstützten. Das klingt wie das Pfeifen im Walde. Zugleich zeigt diese Haltung, wie tief der Riss zum größten Aktionär ist.

Der Druck auf den Vorstand verstärkt sich auch wegen der neuen Besetzung des Aufsichtsrats. Sowohl MFE als auch PPF konnten mit gegenseitiger Hilfe ihren jeweiligen Gegenkandidaten durchsetzen. Für Aufsichtsratschef Wiele und den Vorstand kam es noch schlimmer: Wieles Stellvertreter Rolf Nonnenmacher wurde auf Antrag von MFE und sogar ohne Ja-Stimmen von PPF abberufen. Ein zweiter Kandidat von MFE rückt nach.

Satzung geändert

Von den neun Mitgliedern des Aufsichtsrats sind nun vier MFE zuzurechnen, auch wenn die Italiener ihre zwei jetzt bestimmten Landsleute als unabhängige Kontrolleure bezeichnen. Ebenso betont PPF die Unabhängigkeit des gewählten deutschen Medienmanagers Christoph Mainusch. Zusammen können MFE und PPF gleichwohl auf sechs der neun Mitglieder bauen. Eine klare Mehrheit.

Somit können sie den Vorständen auf die Füße treten, bei nächster Gelegenheit deren Verträge nicht verlängern und Wiele als Aufsichtsratschef ablösen. Die Situation verschärft sich, weil MFE auch mit ihrem Antrag auf eine Änderung der Unternehmenssatzung erfolgreich war. Die Schwelle für M&A-Transaktionen, für die der Vorstand die Zustimmung des Aufsichtsrats benötigt, halbiert sich auf 50 Mill. Euro. Zudem bekommt das Kontrollgremium für die Finanz- und Investitionsplanung eine stärkere Position.

Unter Zugzwang und ein Dilemma

Die Geduld von MFE ist erschöpft: Der Aktionär fordert den Vorstand auf, die Komfortzone zu verlassen. Das gegenseitige Vertrauen hat schwer gelitten. CEO Bert Habets und seine beiden Vorstandskollegen stehen kräftig unter Zugzwang, Erfolge mit Verkäufen von Beteiligungen zu erzielen. Oben auf der Liste stehen das Verbraucherportal Verivox und die Online-Parfümerie Flaconi. Der Vorstand steckt in einem Dilemma: Er will günstige Marktbedingungen abwarten, um möglichst hohe Preise zu erzielen und so die Nettoverschuldung von ProSiebenSat.1 zu reduzieren. Doch die Uhr, die MFE aufgestellt hat, tickt und tickt.

Der Machtkampf mit dem Großaktionär vergiftete schon vor der Hauptversammlung die Atmosphäre. Nun ist kaum mehr vorstellbar, dass sich beide Seiten trotz allem zusammenraufen. Bessere Geschäftszahlen und ein steigender Aktienkurs könnten etwas Schärfe aus der Auseinandersetzung nehmen. Das wird aber nur mit einer anziehenden Konjunktur und damit einer Belebung des Fernsehwerbegeschäfts gelingen. Und über allem steht weiterhin die große Frage: Was hat MFE mit ProSiebenSat.1 vor? Wird es ein Übernahmeangebot geben oder nicht? Das Pokern geht weiter. Die Nadelstiche gegen den Vorstand werden sich häufen.